Lieber Dr. Ruprecht,
was tut man, wenn die Familie, die wegen der Feiertage zusammen kommt, wieder einmal fragt, was man mit seinem Abschluss anfangen kann?!
#helpmeee LG, Günther
Lieber Günther,
den Studiengang kann man sich aussuchen, die Familie leider nicht. Bei Gans und Glühwein treffen nicht nur unterschiedliche Lebensrealitäten aufeinander, sondern auch ein unterschiedlicher Sinn für Humor. Vielleicht lachen deine Verwandten gerne über Witze, die bereits in ihrer Jugend unlustig waren. Vielleicht haben sie auch einfach noch keinen gesunden Umgang mit den eigenen Unsicherheiten und der Trauer über verpasste Träume gefunden.
Höchstwahrscheinlich haben ihre Seitenhiebe, verpackt im liebevollen Geschenkpapier der nachfragenden Fürsorge, nichts mit dir und deinen Lebensentscheidungen zu tun. Dennoch musst du irgendwie damit umgehen. Du könntest deiner Familie zwar aus dem Weg gehen, aber willst du dich in den Feiertagen wirklich einsam vor dem Fernseher mit Fertigmahlzeiten und Tütenwein in den Schlaf weinen? Eine bessere Möglichkeit wäre, zu dir zu stehen und deinen Verwandten auf Augenhöhe zu begegnen.
Denk daran: In der Bundesrepublik sind etwa 50 000 Taxis im Umlauf. Egal was du studierst, solange es nicht Medizin oder auf Lehramt ist, kennst du mindestens genauso viele Taxiwitze. Aber dieses Jahr drehst du den Spieß um!
Nutze das Fest der Liebe, um etwas mehr über deine Liebsten zu erfahren. Frag doch mal deinen Onkel, wie er seinen Job in der Chefetage bekommen hat. Du weißt, dass es nicht Kompetenz gewesen sein kann.
Lass deine Großtante ruhig von ihrer Zeit als Studentin in Freiburg erzählen: 1972 gab es nichts, was sie nicht geraucht hat.
Dein großer Bruder studiert zwar BWL, aber immerhin hast du dir im Sommer keine Aktien-App heruntergeladen und 2000 Euro verpulvert.
Und wo ist eigentlich deine Cousine? Ist die eigentlich noch in Australien oder schon in ihrem Yoga Retreat? Was dein Uropa Helmut in deinem Alter so gemacht hat, willst du am besten gar nicht wissen.
Keine Sorge, auf die 50000 Taxis in Deutschland kommen nämlich auch 85000 Journalist:innen, 64000 hauptberufliche Musiker:innen, 15 000 Schauspieler:innen, 12 000 freischaffende Künstler:innen, 700 Galerien, 36 schamanische Heiler:innen und ein Doktor Ruprecht.
Und überhaupt: Zum Geburtstag eines unverheirateten, besitzlosen Wanderpredigers mit einem Faible für Wein nach den Berufsaussichten post-Studium gefragt zu werden, ist doch schon sehr unweihnachtlich.
Herzlich, Dr. Ruprecht