Die Juristin und Sachbuchautorin Yvonne Hofstetter warnt vor den Gefahren der Digitalisierung. Ein Gespräch über Gesetze für Internetriesen, unser Menschenbild und Nokiahandys.
Yvonne Hofstetter setzt sich in ihren Büchern mit dem Phänomen der Digitalisierung auseinander. Für einen Vortrag zum Thema „Das Ende der Demokratie“ kam sie ins DAI.
Sie warnen immer wieder öffentlich vor Gefahren der Digitalisierung. Werden die Maschinen bald die Weltherrschaft übernehmen?
Nein, das werden sie nicht. Aber es bestehen jetzt schon Gefahren, denen wir ausgesetzt sind. Die muss man nicht herbeireden, sondern die bestehen jetzt schon.
Worin genau bestehen die Gefahren?
Die Gefahren bestehen global und betreffen auch Deutschland. Wenn wir uns anschauen, wie die Digitalisierung heute abläuft und dagegen unser Grundgesetz, dann sehen wir sehr viele Konflikte.
Zum Beispiel?
Es kommt beispielsweise zum Konflikt mit der Menschenwürde, also mit Artikel eins unseres Grundgesetzes. Das liegt daran, dass wir mit der Digitalisierung auch das Menschenbild verändern. Das Menschenbild unseres Grundgesetzes beruht auf der Vorstellung eines souveränen freien Menschen, der freie Entscheidungen treffen kann. Mit der Digitalisierung verändert sich das Menschenbild dahingehend radikal, dass Menschen nur als Datenhaufen zählen. Sie werden damit zur Sache degradiert.
Wie kommt es zu diesem Konflikt?
Unser Grundgesetz ist in einem Jahrhundert entstanden, in dem man davon ausging, dass die Macht, Eingriffe in die menschliche Freiheit zu tätigen, nur Staaten möglich ist. Durch die Digitalisierung haben nichtstaatliche Akteure plötzlich die gleiche Macht wie Staaten – vielleicht sogar mehr. Das Grundgesetz schützt die Bürger aber nur gegenüber dem Staat. Aber auch Staaten können die Digitalisierung negativ nutzen. In China gibt es damit schon ein massives Problem. Dort wird ein sogenannter „Peoples Score“ vergeben. 1300 Punkte – guter Bürger, unter 700 Punkte – schlechter Bürger. Diese Bepunktung erfolgt auf der Grundlage von Daten.
Sowas wie Alter oder Wohnort?
Nein, hauptsächlich das Softwareverhalten. Wenn man beispielsweise nachts surft, ist man mit 87 prozentiger Wahrscheinlichkeit arbeitslos.
Oder Studentin…
Ja, aber der Algorithmus sagt arbeitslos. Das bedeutet, dass Surfverhalten Vorurteile kolportiert. Denn wenn man zu 87 Prozent arbeitslos ist, kann es eben sein, dass man doch Student ist.
Sie behaupten, dass die Digitalisierung uns letztlich ins Chaos führt: Worauf steuern wir zu?
Wir sind schon mitten im Chaos. Was ich damit meine, ist Folgendes: Komplexe dynamische Systeme entstehen, wenn sehr viele Teilchen im System beginnen, miteinander zu interagieren. Insofern ist unser Körper ein komplexes System, aber eben auch unsere gesamte Gesellschaft. Komplexe dynamische Systeme haben aber Eigenschaften. Eine dieser Eigenschaften ist, dass sie sich immer an der Grenze zum Chaos bewegen. Ein ganz konkretes Beispiel sind die sozialen Medien: Die Gesellschaft verändert sich durch soziale Medien. Wir haben Hatespeech, Fake News und Fake Accounts. Wir sind diesen Möglichkeiten ausgesetzt und plötzlich macht es „Batsch“ und dann kommen der Brexit und Trump und keiner hat es erwartet. Ich bin mir nicht so sicher, ob das passiert wäre, wenn wir die Digitalisierung nicht gehabt hätten.
Und wie kommen wir da wieder raus?
Raus kommen wir da nicht mehr. Das ist einfach viel zu weit fortgeschritten. Die Monopole, die hier tätig sind, sind finanziell und politisch viel zu mächtig. Staaten werden immer schwächer in dem Zusammenhang, weil durch die Vernetzung eben private Akteure sehr viel Macht bekommen.
Was können wir dann tun?
Eine Möglichkeit, mit dem Problem umzugehen, ist eine gesetzliche Regulierung. Das ist zum Beispiel wichtig für die Frage, welchen rechtlichen Status die Internetfirmen haben. Airbnb, Uber, Facebook sagen alle, dass sie Plattformen sind. Sie bestehen darauf, dass sie Technologieanbieter sind – sind sie aber nicht. Durch dieses andere Wording umgehen sie sämtliche Vorschriften in Bezug auf die Industrie, in der sie unterwegs sind. Jetzt geht es darum, bei solchen Dingen mal Ross und Reiter zu nennen und zu sagen: Uber ist ein Transportunternehmen, Airbnb ist ein Hotelunternehmen und Facebook ist ein Medienunternehmen.
Nutzen Sie selbst Smartphone, Facebook oder Instagram?
Ich habe ganz bewusst kein Smartphone, sondern so einen alten Nokia-Knochen und ich sage Ihnen: Es lebt sich gut ohne Smartphone.
Das Gespräch führte Esther Lehnardt